Barrierefreiheit

Medien im Spannungsfeld

Zwischen ökonomischen Herausforderungen und technologischen Chancen

Der österreichische Medienmarkt muss durch stürmische Gewässer navigieren. Aktuelle Zahlen der ÖAK belegen erneut einen Rückgang der verkauften Auflage und der Abonnements.1

Nachdem die Preissteigerungen im Energiebereich zuletzt noch stark auf die Papierpreise durchgeschlagen und den Druck auf die Printmedien erhöht haben, zeichnet sich derzeit immerhin eine leichte Entspannung ab. Die Preissteigerungsraten beginnen sich allmählich abzuschwächen.2

Für die Wiener Zeitung ist das allerdings kein Trost. Mit der letzten gedruckten Ausgabe im Mai 2023 geht die Ära der ältesten noch erscheinenden Tageszeitung der Welt zu Ende. Auch wenn sie in reduzierter digitaler Form weitergeführt wird, ist der ohnehin schon auf wenige Blätter konzentrierte österreichische Printmarkt abermals um eine Tageszeitung ärmer geworden .3 Zum Vergleich: In der Schweiz erscheinen rund 70 Tageszeitungen, in Österreich sind es mit dem Ende der Wiener Zeitung nur noch 13.4

Die Aussichten für die verbliebenen Tageszeitungen sind weder auf dem Publikums- noch auf dem Anzeigenmarkt  rosig. Zwar steigt die Zahlungsbereitschaft für digitale Inhalte langsam an,5 der Rückgang der Printabonnements kann dadurch aber vorerst nicht kompensiert werden. Der Werbemarkt entwickelt sich nicht besser als der Publikumsmarkt: Die Ausgaben für digitale Werbung steigen, doch hiesige Medien profitieren kaum davon, obwohl sie einige der meistbesuchten Websites und interaktionsstärksten Social-Media-Accounts betreiben. Der Großteil der Mittel für Online-Werbung  fließt an US-Giganten wie Google, Facebook oder Amazon, nur weniger als 20 Prozent werden in heimische Medien und Portale investiert.6

 

Personalabbau, Vertrauensverlust und finanzielle Abhängigkeiten

Die daraus resultierende finanzielle Destabilisierung geht nicht spurlos an den Medienhäusern vorüber. In diesem Jahr reduzierten die Kleine Zeitung und der Kurier ihre Belegschaft.7,8 Damit setzt sich ein langjähriger Trend fort: Zwischen 2006 und 2021 verringerte sich das journalistische Personal um ein Viertel.9

Die zunehmende personelle Ausdünnung der Redaktionen droht eine Abwärtsspirale in Gang zu setzen, die potenziell die journalistische Integrität und die Qualität der Medienproduktion gefährdet und dadurch das Vertrauen und die Zahlungsbereitschaft weiter schmälern könnte. Tatsächlich zeigen Studien, dass das Vertrauen der Leser:innen in die Medien in den letzten Jahren rückläufig ist.5

Der Personalabbau intensiviert nicht nur den Produktionsdruck, dem die noch tätigen Journalist:innen ausgesetzt sind, sondern birgt auch das Risiko von Qualitätseinbußen. Wenn beispielsweise unter Zeitdruck häufiger Pressemitteilungen ungefiltert in die Berichterstattung übernommen werden, könnte das Vertrauen der Leser:innen erodieren.

Einen ähnlichen Effekt könnten die aktuellen Herausforderungen auf dem Anzeigenmarkt nach sich ziehen: Mit steigender Abhängigkeit von den verbleibenden Anzeigenkund:innen, insbesondere von politischen Akteuren, wird nicht nur die Unabhängigkeit der Medien zunehmend in Frage gestellt, sondern ebenfalls das Vertrauen und die Zahlungsbereitschaft der Konsument:innen potenziell beeinträchtigt.

 

Wege aus der Abwärtsspirale

Diese Spirale zu durchbrechen, ist ein schwieriges Unterfangen. Im neuen ORF-Gesetz kommt die Politik den langjährigen Forderungen privater Verleger nach, Gratisinhalte auf ORF.at, die als Konkurrenz zu deren Bezahlangeboten wahrgenommen werden, einzuschränken.10 Fraglich ist allerdings, ob dadurch zwangsläufig mehr Abonnements bei privaten Anbietern abgeschlossen werden.

Wenn die Regierung Qualitätsmedien unterstützen will, wäre die Reform der Medienförderung ein möglicher Ansatz. Noch immer erfolgt ein großer Teil staatlicher Zuwendungen über Inserate, bei deren Vergabe Boulevardmedien überproportional begünstigt werden.11 Eine höhere, aber transparentere Medienförderung, die sich an nachvollziehbaren Qualitätskriterien orientiert, kann dazu beitragen, die Abhängigkeit von Inseraten aus der Politik zu reduzieren und gleichzeitig das Vertrauen zu stärken.

Abgesehen von etwaigen Risiken kann der Einsatz von Künstlicher Intelligenz in den Redaktionen auch als Chance begriffen werden. Die Automatisierung von Routineaufgaben birgt das Potenzial, den Journalismus von simplen, aber ressourcenintensiven Arbeitsschritten zu entlasten und Kapazitäten für die Produktion qualitativ hochwertiger Inhalte freizusetzen. Im günstigsten Fall steigen dadurch das Vertrauen und letztlich auch die Zahlungsbereitschaft des Publikums wieder.

 

Literatur

1.           ÖAK Auflagenliste | 1. Halbjahr 2023 und Rollierender Jahresschnitt 2023 – Österreichische Auflagenkontrolle (ÖAK). https://www.oeak.at/1halbjahr2023-rollierender-jahresschnitt2023/.

2.           „Entspannung“ bei den Kosten für die Papier-Produktion | kurier.at. https://kurier.at/wirtschaft/entspannung-bei-den-kosten-fuer-die-papier-produktion/402416339.

3.           „Wiener Zeitung“: Letzte gedruckte Ausgabe erschienen - news.ORF.at. https://orf.at/stories/3322231/.

4.           Schweizer Abstimmung - Medienexperte: Sorgen wegen staatlicher Medienförderung unberechtigt. https://www.kleinezeitung.at/kultur/medien/6099606/Schweizer-Abstimmung_Medienexperte_Sorgen-wegen-staatlicher.

5.           Gadringer, S., Sparviero, S., Trappel, J. & Reichenberger, P. Digital News Report Austria 2023. Detailergebnisse für Österreich. https://zenodo.org/record/8008752 (2023) doi:10.5281/ZENODO.8008752.

6.           Heimische Ausgaben für Digitalwerbung 2022 um 22 Prozent gestiegen - Medien - derStandard.at › Etat. https://www.derstandard.at/consent/tcf/story/3000000030817/heimische-ausgaben-fuer-digitalwerbung-2022-um-22-prozent-gestiegen.

7.           ‘Kurier’-Verlag streicht 20 Jobs – Redaktion kritisiert ‘strukturelle Versäumnisse’ - Medien - derStandard.at › Etat. https://www.derstandard.at/consent/tcf/story/2000145455253/kurier-verlag-streicht-20-jobs-redaktion-kritisiert-strukturelle-versaeumnisse.

8.           ‘Kleine Zeitung’ bot gesamter Redaktion einvernehmliche Auflösung der Dienstverhältnisse an - Medien - derStandard.at › Etat. https://www.derstandard.at/consent/tcf/story/2000145483127/kleine-zeitung-bot-gesamter-redaktion-einvernehmliche-aufloesung-der-dienstverhaeltnisse-an.

9.           Medienhaus Wien. Der österreichische Journalismus-Report (VI) | medienhaus wien. http://www.mhw.at/journalistenreport/ (2020).

10.         Nationalrat: Neues ORF-Gesetz beschlossen - news.ORF.at. https://orf.at/stories/3322828/.

11.         Kaltenbrunner, A. Scheinbar transparent IV. (2023).

 

Rückfragen
Manuel Bonat
m.bonat@mediaaffairs.at
 

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